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Mit der Mocanita durchs Wassertal

Die alte Diesellok quält sich früh am Morgen verschlafen durch das Tal. Es rumpelt und wackelt und von Zeit zu Zeit springen neben den Gleisen Wartende auf den im Schritttempo fahrenden Zug. Mal sind es Jugendliche mit Vesperpaketen auf dem Weg zu ihren Tieren auf einer Weide, mal eine ganze Familie, die ein Stück des Weges mitfahren möchte und irgendwann wieder abspringt.

Das Wassertal liegt ganz im Norden Rumäniens an der Grenze zur Ukraine in den Muntii Maramuresului. Es umfasst ein großes, unbesiedeltes Waldgebiet, das nur durch eine kleine Waldbahn erschlossen ist. 1932 wurde mit dem Bau der Waldbahn begonnen, um den Holzreichtum der Region zu nutzen. Die Spurweite von 760mm ermöglicht sehr enge Kurvenradien, so dass sich die Bahnlinie durch das schmale Karpatental schlängeln kann. Die Strecke ist so angelegt, dass sie ein permanentes Gefälle aufweist. So ziehen am Morgen die dampfbetriebenen Lokomotiven die leeren Wagen den Berg hinauf, am Abend hingegen können die schwer mit Holz beladenen Waggons den Weg zurück ins Tal rollen. Waren damals solche Waldbahnen noch sehr verbreitet in Europa, wurden sie in den Fünfzigerjahren vielerorts durch Forststrassen ersetzt. In Rumänien wurden die Dampfloks noch bis 1986 gefertigt und auch heute fahren im Wassertal noch dampfbetriebene Loks. Damit gelten diese als die letzten ihrer Art. Für den alltäglichen Forstbetrieb werden heutzutage zwar hauptsächlich Dieselloks eingesetzt, aber für Touristen stehen noch eine Handvoll der alten Züge bereit und ziehen mehrmals in der Woche die Besucher einige Kilometer ins Tal hinein. Mocanita war ursprünglich der Name einer Lokomotive, die hier ihren Dienst verrichtete. Heute wird aber die Bezeichnung für die ganze Wassertalbahn verwendet. Bei unserem ersten Besuch hier in Viseu de Sus, von wo aus die Mocanita startet, waren wir auch mit einer der Dampfloks gefahren, die meist am Vormittag startet und am frühen Nachmittag bereits wieder zurückfährt. Erst später hatten wir erfahren, dass es auch möglich ist, mit den Arbeitern früh am Morgen aufzubrechen und viel tiefer ins Tal hineinzufahren. Und so hatten wir uns diesmal vorgenommen, früh aufzustehen und mit der Arbeitermocanita zu fahren.

Damit am Morgen der Weg nicht so weit ist und wir wenigstens ein paar Minuten Schlaf sparen können, wollten wir in dem Hotelzug auf dem Gelände übernachten. In dem abgestellten Bahnwaggon befinden sich etwa 20 Zimmer, die vor allem in der Hauptsaison sehr begehrt sind und daher hatten wir kein Glück. Wir bekamen aber die Erlaubnis, unser Dachzelt neben dem Zug aufzustellen. Als wir uns nach einer kühlen Nacht am nächsten Morgen aus den Schlafsäcken schälen, ist die Umgebung noch bedeckt vom Tau. Nur in der Ferne sieht man schon den Rauch der Bahn aufsteigen, ansonsten herrscht noch Stille. Etwa einen halben Kilometer vom Besucherparkplatz entfernt liegt der Abfahrtsort für die Arbeiter. Eine alte Diesellok ist vor einen hölzernen Personenwagen gespannt, dahinter unzählige leere Wagen für die gefällten Baumstämme. Wir setzen uns in den Wagen und warten, dass sich noch weitere Besucher zu uns gesellen. Draußen herrscht ein reges Treiben, Wagen werden rangiert und letzte Vorbereitungen für die Abfahrt getroffen. Nach und nach steigen die Arbeiter ein und dann setzt sich mit einem mächtigen Ruck die Bahn in Bewegung. Wir können es kaum glauben, dass wir die einzigen Touristen sind.

Einige der Fensterscheiben sind gesplittert, andere fehlen gänzlich. Und so weht ein frischer Morgenwind in den Wagen. Manche der Arbeiter vertreiben sich die Zeit mit einem Kartenspiel, andere versuchen noch ein wenig zu schlafen. Die ersten Kilometer säumen noch einzelne Häuser den Weg, mit der Zeit werden es weniger und die Bahn bewegt sich gemütlich neben dem kleinen Fluss entlang, der dieses Tal im Laufe der Zeit in die Karpaten gefressen hat. Nur die obersten Spitzen der Hügel sind schon von der Sonne beschienen, im Tal selbst scheint noch die Kälte zu schlafen. Hartnäckig hält sie sich und so dauert es nicht lange, bis ein paar Arbeiter vom Zug springen, ein paar Äste neben der Strecke sammeln und gleich wieder aufspringen. Sie entfachen in dem verrosteten Kanonenofen ein kleines Feuer und schon bald verbreitet sich eine heimelige Wärme im Waggon. Der kühle Fahrtwind verliert augenblicklich von seinem Schrecken. Einer der Arbeiter setzt sich direkt neben den kleinen Ofen und packt sein Vesperpaket aus. Er breitet ein Stück Alupapier aus, schneidet Wurst in Scheiben und legt alles zusammen auf die heiße Oberseite des Ofens. Auf die gleiche Weise röstet er Brot, Speck und Zwiebeln an. Nach kurzer Zeit erfüllt den kleinen Wagen der leckere Duft nach Angebratenem. Er nimmt alles vom Ofen, legt es auf ein paar Dienstplänen aus und öffnet noch zusätzlich eine Dose Thunfisch. Wir wünschen ihm einen guten Appetit und er lacht und erklärt uns, dass das für uns sei. Da wir ihm aber nicht seine Ration für den ganzen Tag wegessen wollen, sagen wir, dass wir das wenigstens gemeinsam essen sollten. Er schüttelt grinsend mit dem Kopf, nimmt sich von allem ein kleines Stück, lacht, winkt und wirbelt durch den Wagen davon. Zusammen mit den anderen Arbeitern springt er vom Zug und es werden wieder einige der leeren Wagons entkoppelt und zum Beladen zurückgelassen. In der Zwischenzeit schauen wir auf das Essen vor uns und können wieder einmal nicht glauben, welche Gastfreundschaft uns zuteil wird.

Einige Stunden fährt die Bahn tiefer ins Tal hinein. Unterwegs passieren wir immer wieder kleine Holzfällercamps und wegen der Nähe zur Ukraine auch einen Grenzposten. Unser spendabler Koch scheint das Sagen zu haben, er ruft den anderen Befehle zu, rennt unermüdlich hin und her, schiebt zur Not einen leeren Wagen von Hand ein Stück das Gleis entlang und lacht dann in unsere Richtung und deutet Rückenschmerzen an. Ab und zu werden die Arbeiter zu einem unfreiwilligen Halt gezwungen. Die Diesellok macht Probleme und muss immer wieder repariert werden.

Auf einer Lichtung in der Valea Babei, dem Tal der alten Frau, legen wir eine lange Pause ein. Mit großen Maschinen werden Baumstämme aus den umliegenden Wäldern an die Gleise gebracht und auf die Wagen verladen. Bald stapelt sich das Holz hoch auf den zahlreichen Waggons und als sich der Abend nähert wird die Diesellok an einer geeigneten Stelle an die Spitze des Zuges gesetzt und gibt ein lautes Signal von sich. Das Zeichen zur Rückfahrt. Mit einem gewaltigen Ruck setzt sie sich erneut in Bewegung, diesmal wird sie aber mehr bremsen als ziehen, da die Gleise ein stetes Gefälle aufweisen und die Last der Baumstämme den ganzen Zug ins Tal zurück schiebt. Die einzelnen Wagen sind dabei ungebremst und so muss in bestimmten Abständen ein Arbeiter auf den Wagen stehen und diese immer wieder von Hand bremsen. Keine ungefährliche Aufgabe und es kommt immer wieder zu Unfällen dabei. Wenn wir uns weit aus dem Fenster lehnen und zurück schauen, können wir trotzdem nicht das Ende des Zuges sehen. Auf dem Weg werden die am Morgen zurückgelassenen Wagen eingesammelt und in teils langwierigen Aktionen in den Zug eingegliedert. Unterwegs steigen immer wieder Leute ein, die an den Gleisen warten und mit ins Dorf genommen werden wollen. Mit dem letzten Sonnenlicht kommen wir wieder in Viseu des Sus an. Wir bleiben neben den Gleisen stehen und warten bis der komplette Zug an uns vorüber gefahren ist und seine Ladung im angrenzenden Sägewerk abliefert. Von einem der Wagen winkt uns „unser Koch“ vom Morgen zu, wieder ein breites Lachen im Gesicht.

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