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Reisebegleitung durch Rumänien

Immer wieder ist es dieses kleine rumänische Dorf, ganz im Norden, in der Maramures, das für Überraschungen und denkwürdige Erlebnisse sorgt. Hier strandeten wir vor einigen Jahren aus den Bergen kommend durch Zufall und lernten Gheorghe kennen, der uns einen ganzen Tag lang durch seine Heimat führte. Im letzten Jahr erlebten wir hier eine traditionelle rumänische Hochzeit, und dieses Jahr war der Besuch dieses Dorfes einer der ungeplanten Höhepunkte für eine deutsche Reisegruppe, die ich für 12 Tage begleitete.

Ende des letzten Jahres begannen wir mit der Ausarbeitung einer Route für den Verein „Alt Wimpfen“. Die alljährliche Studienfahrt sollte diesmal nach Rumänien führen. Und so stellten wir für die 23 Teilnehmer eine Reise zusammen, in der für die zur Verfügung stehende Zeit alles Wichtige und Schöne enthalten war, das Rumänien zu bieten hat: die beeindruckenden Kirchenburgen Siebenbürgens und dessen prächtige Städte Schäßburg, Hermannstadt, Kronstadt und Klausenburg; die Schlösser in Hunedoara, Bran und Peles, die alten und reichverzierten Klöster der Moldau, die Holzkirchen der Maramures. Als Ausgleich und Gegengewicht zu den kulturellen Sehenswürdigkeiten standen zahlreiche landschaftliche Höhepunkte auf dem Programm.

Die Kirchenburgen sind teilweise noch vollständig umgeben von dicken, wehrhaften Mauern.

In Prejmer kann man noch eindrucksvoll die Vorratskammern sehen, die für jede Familie angelegt wurden, so dass sich im Falle einer Bedrohung die Bewohner schnell innerhalb der Mauern in Sicherheit bringen konnten.

In Birthälm findet man mit dem sogenannten "Scheidungszimmer" eine Besonderheit vor. Eheleute, die mit dem Gedanken spielten, sich scheiden zu lassen, wurden gemeinsam in diesen Raum gesperrt. Es gibt darin nur einen Stuhl, einen Tisch, ein Gedeck und ein Bett. Der Überlieferung nach hat sich in all der Zeit nur ein Paar nicht davon abbringen lassen, sich zu trennen. Alle anderen, so heißt es, haben nach der gemeinsamen Zeit in dem Zimmer an ihrer Ehe festgehalten.

Da Ruth erst mit Beginn der Pfingstferien nach Rumänien aufbrechen kann, die Reise aber schon eine Woche vorher startet, fahre ich zunächst alleine mit unserem Dicken hinter dem Reisebus her. Am zweiten Tag erreichen wir Timisoara, wo der Land Rover für die nächsten 10 Tage ausharren muß. Ab hier steige ich in den Bus um. Die ersten Tage ist es eine ziemliche Umstellung, all die Orte, die wir in den letzten Jahren schon häufig besucht haben, mit einer Reisegruppe zu besichtigen. Und so muss ich mich erst an die Besonderheiten gewöhnen, die eine Gruppenreise mit sich bringt. So darf man nie unterschätzen, wie lange alleine das Ein- und Aussteigen dauert, wenn man auf dem Weg zu Besichtigungen ist; die Toilettenpause darf auch nicht außer Acht gelassen werden, zumal selten alle Reisenden zur gleichen Zeit müssen; und nicht zuletzt spielen die Straßenverhältnisse eine gewaltige Rolle wenn man mit einem Reisebus unterwegs ist. Fuhren wir bisher unbekümmert überall entlang, wo uns der Sinn danach stand, so muss man nun Wege finden, die breit genug sind und an deren Ende es eine ausreichend dimensionierte Wendemöglichkeit gibt. Aber man gewöhnt sich schnell um und so überwiegen bald die geselligen Momente, wenn man beispielsweise zur Mittagszeit einen schönen Platz in der Natur zum Essen sucht, alle Mann mit anpacken um die im Bauch des Busses verstauten Bierbänke und Tische auszuladen, während an die ersten Hungrigen bereits warme Mahlzeiten aus der Bordküche verteilt werden.

Die Festung Rosenau, von der aus man einen schönen Blick über den Ort und die Umgebung hat.

Von hier ist es nicht mehr weit nach Bran. Das Städtchen hat vor allem wegen seiner fotogenen Burg Berühmtheit erlangt, die gerne mit dem historischen Vorbild Draculas, dem walachischen Fürsten Vlad Tepes, in Verbindung gebracht wird. Auch wenn hier der Vampirmythos ohne Skrupel ausgeschlachtet wird, lohnt sich ein Besuch des kleinen Ortes vor allem außerhalb der Sommermonate. Ein Stück südlich liegt das prunkvolle Schloß Peles, ein nicht minder großer Besuchermagnet wie Bran. Ceausescu wollte das Schloß einst zu seiner Urlaubsresidenz machen. Findige Restauratoren wußten das damals zu verhindern, indem sie von einem gesundheitsbedenklichen Schimmelpilz berichteten, der die Möbel und Wandteppiche befallen habe. Daraufhin änderte der Diktator seine Pläne und das Schloß wurde unverändert vor seinem Schicksal bewahrt.

Die größte Genugtuung ist aber vermutlich, zu beobachten, wie durch das Erlebte bei den Mitreisenden der weiße Fleck verschwindet, der bisher für die meisten Rumänien noch war, und am Ende vielleicht durch die gewonnenen Eindrücke so manches Vorurteil über das Land abgebaut werden kann. Das bäuerliche Leben auf dem Land, die Fahrt durch kleine Dörfer schien für viele wie ein Blick in die eigene Kindheit zu sein, als man selbst bei der Feldarbeit half und der Zusammenhalt innerhalb des Ortes noch größer war.

Die Feierlichkeiten zu Pfingsten erleben wir im Kloster Neamt. Hier verbrachten wir 2015 bereits das orthodoxe Osterfest. Diesmal ist ein großer und reich geschmückter Altar im Innenhof des Klosters errichtet. An die Kirchenmauer gelehnt entdecke ich Bruder Ion. Mit ihm hatten wir uns damals lange auf einer Steinbank vor der Kirche unterhalten. Auch Bruder Anton statte ich einen Besuch ab. Er ist Herrscher über ein kleines Reich im zwiebelförmigen Gebäude vor dem Kloster. Hier bietet er vom Rosenkranz über Postkarten und Bücher hin zu Getränken alles an, was auch nur im entferntesten interessant für den gläubigen Besucher sein könnte. War 2015 das Innere des ehemaligen Brunnenhauses noch ein Labyrinth aus Bücherstapeln so wirkt es diesmal sehr viel aufgeräumter, zum ersten Mal erkenne ich den Brunnen in der Mitte des Raumes. Zu meiner Verwunderung begrüßt mich Bruder Anton mit Namen.

Die ländliche Gegend der Maramures ist geprägt von Holzkirchen. So finden sich beispielweise einige von ihnen in Barsana dicht beieinander.

Hier herrscht auch noch der Brauch, dass man Töpfe an einen Baum vor dem Haus hängt, wenn sich eine ledige Frau in heiratsfähigem Alter in der Familie befindet.

Manchmal passt einfach alles zusammen, das Wetter, die Menschen, der Zeitpunkt. Und dann ergeben sich Dinge, die man niemals hätte planen können und die vielleicht genau deshalb so erinnerungswürdig sind. Vom Prislop-Pass kommend verlassen wir irgendwann die Hauptstraße und folgen einem schmalen Weg, an dessen Ende dieses denkwürdige kleine Dorf liegt, das ich unbedingt der Reisegruppe zeigen möchte. Jetzt, aus der großen Scheibe des Busses schauend, kommt mir der Weg sehr viel schmaler vor, als bei den Besuchen zuvor mit dem Land Rover. Ich weiß, dass sich die Straße kurz vor dem Dorf abermals verengt und im Ort selbst einige heikle Kurven auf uns warten. Ich hoffe inständig, dass wir mit dem Bus dorthin kommen und uns nur an Stellen mit Ausweichmöglichkeit Verkehr entgegenkommt. Die erstaunten Blicke der Arbeiterinnen auf den Feldern und die aufgerissenen Augen der Leute auf den Pferdefuhrwerken, die uns entgegengeworfen werden als sie den Reisebus kommen sehen, lassen erahnen, dass ich nicht der Einzige bin, der seine Zweifel hat. Aber es geht gut, bei schönstem Abendlicht erreichen wir das Dorf. Und wie es der Zufall so will, kommt uns genau auf dem Schotterweg, auf dem Ruth und ich vor einem Jahr zur rumänischen Hochzeit eingeladen wurden, ein Herr entgegen, der für uns den Küster holt, damit dieser uns die kleine Holzkirche aufschließt. Und so können alle einen ausführlichen Blick in eines dieser alten Gotteshäuser werfen, das heute noch zu Gottesdiensten und Feierlichkeiten genutzt und nicht nur für Touristen instand gehalten wird.

Zurück an der Straße führe ich die Gruppe zu einer der „Waschmaschinen“ des Dorfes. Der kleine Bach wird an einigen Stellen aufgestaut und das Wasser über eine Rampe in einen Holzbottich geleitet, in dem die Wäsche ordentlich durchgespült wird. Und auch hier haben wir Glück und eine junge Frau ist gerade dabei, ihre Wäsche aus diesem Bottich zu fischen und zum Trocknen aufzuhängen. Als sie unser Interesse und Staunen sieht, wirft sie die Wäsche wieder ins Wasser und zeigt uns, wie sie diese unter Rühren und Stampfen reinigt. Ich habe ein schlechtes Gewissen und fürchte, dass sie sich wie eine Außerirdische fühlt, über die eine Horde Neugieriger fällt, aber sie freut sich sichtlich über den kurzen Besuch. Mit den wenigen Brocken Rumänisch, die ich spreche, verständigen wir uns und sie gibt uns am Ende ihre Adresse, damit wir ihr ein paar der gemachten Fotos schicken. Genau dieser spontane Abstecher zu dem Dorf, die glücklichen Fügungen während unseres Besuches, der unverfälschte Blick auf das Leben dort und nicht zuletzt die echte Freude und Gastfreundschaft, die wir als Gruppe erfahren haben, war für viele der Höhepunkt dieser Reise.

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